Nach 143 gelaufenen Kilometern in 24 Stunden aufs Siegertreppchen… gehievt

6. September, 15 Uhr: Zeit für den Startschuss zum Rüninger-24-Stunden-Lauf. Hell leuchtend strahlte mir die Ziffernfolge „24:00“ auf der digitalen Anzeige im Start-/Zielbereich entgegen. Dass diese Anzeige und ich noch eine Hassliebe aufbauen würden, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar, ebenso wenig, dass ich 24 Stunden nonstop laufen würde, ohne auch nur einmal die Beine stillzuhalten. Auch dass sich viele neue Bekanntschaften entwickeln, ich nahezu kein Insulin benötige und der Blutzucker unerwartete Dinge tut, war mir noch nicht bewusst. Und erst recht nicht, dass ich gut 3,5 Marathons abspule, auf den Siegertreppchen Platz 1 stehen oder den siebten Platz ALLER Teilnehmer (Männer eingeschlossen)/den zweiten Platz aller Frauen erkämpfen würde…

Der 24-Stunden-Lauf fand zum fünften Mal in Braunschweig/Rüningen unter dem Motto „Ich laufe wann ich will und solang‘ ich will“ statt. Gelaufen werden 1-Kilometer-Runden, abwechslungsreich auf Schotter, Bahn und Waldboden. Jeder einzelne erlaufene Kilometer wird von den Veranstaltern gesponsert und United Kids Foundations zur Verfügung gestellt. Weitere Infos zum Lauf findet ihr im Programmheft der Rüninger Roadrunner.

Es kann losgehen: auf geht es mit Diabetes im Gepäck nach Rüningen zum 24-Stunden-Lauf

Wie immer ziemlich spontan hatte ich mich jedenfalls dazu entschlossen, an diesem 24-Stunden-Lauf teilzunehmen, ohne groß darüber nachzudenken, was ich mir da eigentlich aufgehalst hatte. Brigitte, eine längst liebgewonnene Marathon-Lauffreundin, packte mich am Kragen und fuhr uns samt Zelt, Schlafsack, Wechselkleidung und Co zum Veranstaltungsort, wo uns schon zahlreiche Läufer, darunter auch einige der üblichen Verdächtigen aus der OG Hannover erwarteten ;). Und überraschenderweise stand plötzlich auch mein Vater neben mir, der mich noch einmal drückte und „über die Schulter spuckte :)“. DANKE!!!

Kurz vor Start des 24-Stunden-Laufes

Der Startschuss

Wir standen nun an der Startlinie. Mir steckten noch das Eilenriederennen und der Werkheim-Marathon in den Knochen, dennoch waren die ersten 50 Kilometer schnell gelaufen. Kein Wunder bei der Verpflegung und der liebevollen persönlichen Betreuung vor Ort. Warme Salzkartoffeln, Toast mit Butter und Salz, Müsliriegel, Kaffee, Brühe, Isotonische Getränke… Außerdem Massagen, Musik an der Strecke, Unterhaltung für die ganze Familie und vieles mehr.

Die Durchsage und der weniger erfreuliche Kommentar zu meiner Startnummer

Ich freute mich ganz besonders über die folgende Durchsage: „Auch mit dabei Stefanie Blockus mit der Startnummer 271… Schaut doch mal auf www.diabetes-leben.com vorbei, was sie uns dort für eine Botschaft vermittelt.“ Weniger erfreulich war hingegen nach 120 gelaufenen Kilometern die Frage eines ZUSCHAUERS, ob denn meine Startnummer meinem Geburtsjahr entspräche? Das hat gesessen! Okay ich sah auch aus wie Sch… Aber nach drei nonstop gelaufenen Marathons darf man das auch. Schließlich wollte ich keinen Schönheitswettbewerb gewinnen.

Der 24 Stunden Lauf mit Diabetes nimmt seinen Lauf: Walking Dead!

24-Stunden-Lauf in Rüningen: Moonlightrun

Zum „Verlauf des Laufes“ ;): erste 50 Kilometer wie geschildert okay, 50-100 Kilometer gerade noch erträglich, die letzten 43 einfach nur zum K…

In der Nacht lief ich die 50-100 Kilometer. Ab 0:00 Uhr war Moonlightrun Programm, das motivierte einige Läufer wieder zurück auf die Strecke, denn wer in der Zeit von 0:00-4:00 Uhr 15 Runden abspulte, der bekam das Moonlightrunner-T-Shirt gratis (siehe Foto unten). Viele funktionierten das Shirt direkt als „Nachthemd“ um und zogen sich damit ins Zelt zurück. Na ja und einige andere, mich eingeschlossen, die seit 15:00 Uhr auf den Beinen waren, bewegten sich wie Zombies durch die Nacht ;). Im Nebel erinnerte das Ganze an die ein oder andere Szene aus Walking Dead (siehe Foto). Ein fleißiges Läuferpärchen lief Arm in Arm an mir vorbei. Die beiden (Laura und Tobi) durfte ich dann bei der Siegerehrung noch näher kennenlernen. Laura belegte Platz zwei in meiner Altersklasse und wir haben uns auf Anhieb super verstanden und über Facebook schon ein Treffen geplant.

Diese Situation beim 24-Stunden-Lauf in Rüningen erinnerte an eine Szene aus Walking Dead

 

Schwarze und rote Zahlen: Blutzuckerwerte und Zeitanzeige

Zu dieser Zeitanzeige baute ich beim 24-Stunden-Lauf eine Hassliebe auf

Spätestens mit Beginn des Sonnenaufgangs fing ich an, die Zeitanzeige, die von 24:00 Stunden auf 0:00 herunterzählte, zu hassen. Wie langsam vergeht die Zeit? Sonst rennt sie einem davon, nur heute nicht? Pfft… Na ja, so konnte ich mal mit mir ins Reine kommen. Ich machte mit Gedanken über mein Leben, in dem natürlich auch der Diabetes längst seinen Platz gefunden hatte, auch wenn ich ihm den sicher nicht freigehalten habe ;). Apropos: Diabetes und die Blutzuckerwerte. Ihr wollt sicherlich wissen, wie sich diese verhielten: Ich lief nahezu komplett OHNE Basal, korrigierte allerdings ab und zu über die Fernbedienung/den PDM meines OmniPods, wenn der Blutzuckerwert zu hoch anzusteigen drohte. Aber nur ganz vorsichtig, beispielsweise mit 0,5 I.E bei ansteigenden Messwert von 200. Natürlich hatte ich DexStar (kennt ihr die Serie? Dann wisst ihr auch warum ich den Dexcom so nenne) dabei, meinen persönlichen Blutspurenanalytiker ähhh…Blutzuckerwegweiser. Das CGMS warnte mich rechtzeitig bei Hyper- oder Hypogefahr, also eigentlich (!) „easy going“. Nach jedem Kilometer nahm ich etwas Kohlenhydrate zu mir, ebenso Wasser, Apfelschorle, Gemüsebrühe… etc. So konnte ich meinen Elektrolythaushalt gut in Balance halten.

Die Schmerzen und die Sache mit der Motivation

Die warmen Salzkartoffeln, die nachts angeboten wurden, waren ein Traum und mein Magen erfreute sich sehr daran. Denn natürlich hatte auch die Verdauung unter der ständigen Laufbewegung zu leiden. Die Toilettengänge häuften sich porportional zur Anzahl der gelaufenen Kilometer, ebenso die Blasen, Wunden und Mückenstiche, wobei letztere das geringere Problem darstellten. Die Schmerzen zwangen mich eigentlich schon fast zum „Aufhören“, wären da nicht zwei „Mitstreiter“ namens Brigitte (die mich zur Veranstaltung geschleppt hatte) und Anke gewesen ;). Anke war die Gewinnerin des letzten Jahres (mit über 160 Kilometern!!!). Die beiden haben mir Mut gemacht, obwohl sie selbst bitter zu kämpfen hatten. DICKES,  GROSSES DANKE!!!

Ich kann aber nicht mehr…

Nun gut… Gespräche mit anderen Läufern und ein Hörbuch über Sportmotivation, von dem ich nicht mehr viel aufnahm sollten mir die Zeit weiterhin laufend vertreiben… oder auch nicht: Zum „Quatschen“ hatte ich längst keine Lust mehr 😉 und das Hörbuch motivierte mich kein Stück!!! Einzig und allein die Roadrunner-Helferleins zwei Stunden vor Schluss, die mir Märchen erzählten, motivierten. Märchen insofern, dass sie behaupteten, dass ich jetzt dranbleiben müsse, um eine Chance aufs Treppchen zu bekommen. Ich nölte mit völlig leerem Kopf nur so etwas wie „Ich kann aber nicht mehr!“. Dann kam nur noch ein „Doch, doch du kannst noch… deine Mitstreiterin um den zweiten Platz ist nur 5 Kilometer hinter dir, also RENN“… Okay, Schmerzen irgendwie verdrängen und „mehr oder weniger“ Gas geben. Erst als ich die letzte Runde in Angriff nahm, versicherte man mir, dass die Zweitplatzierte fast zwei Marathons hinter mir lag. Ähm ja… ;). Im Nachhinein sage ich mal „Danke“ fürs Märchen erzählen ;).

Blutend ab ins Ziel

Das Moonlightrunner-Shirt, der Pokal und die Urkunde 🙂

Die letzte Runde kroch ich dann blutend ins Ziel, meinen Rücken konnte ich längst nicht mehr richtig aufrecht halten.

Aber mir war alles gleichgültig geworden. Ich konnte die Läufer nicht mehr beim Namen benennen, wusste nicht mehr mit wem ich über was gequatscht hatte, ich gab nur noch wirres Zeug von mir, schwankte wie eine Volltrunkene von links nach rechts, alles war blutig und schmerzte…

Ich sag ehrlich wie’s ist, das war kein Spaziergang! ABER: Ich bin stolz auf das, was ich geleistet habe. Na und wer Narben hat, hat halt was erlebt. Muss man ja auch mal so sehen…

 

Keine Kraft mehr, um aufs Siegertreppchen zu steigen

Das Roadrunner-Team musste mich bei der Siegerehrung auf das Treppchen hieven, weil ich dazu keine Kraft mehr hatte. Die Beine streikten. War mir alles egal. Mit Pipi in den Augen nahm ich den Pokal entgegen: 143 gelaufene Kilometer, gut 3,5 Marathons in 24 Stunden… reicht, oder ;)?

Wenn man es nicht mehr alleine aufs Siegertreppchen schafft 😉

Das Blutzucker-Team

Zum Diabetes und den Therapiehilfsmitteln bleibt mir nur sagen, dass ich verdammt froh und dankbar darüber bin, dass mir meine Krankenkasse den OmniPod genehmigt hat und ich meine Insulinzufuhr damit einfach über die Fernbedienung steuern kann, mehr Freiheiten genieße und einen wirklich treuen Begleiter gefunden habe, der solche Extremläufe mit mir meistert.

Na ja und klar, ohne das CGMS, meinen DexStar, hätte ich ständig meine Blurzuckerwerte messen müssen, auch meinen Fingern Wunden zufügen müssen, wo doch eh schon alles wund war ;). Außerdem hätte ich einen immensen Zeitverlust und keine kontinuierliche Anzeige meiner Messwerte, geschweige denn eine Blutzuckerwerttendenz im Blick gehabt.

Ich lief insgesamt 24 Stunden nahezu OHNE Insulin-Basalzufuhr und trotz ausreichender Kohlenhydratzufuhr überraschte mich die ein oder andere Hypo, die mir mein CGMS rechtzeitig ankündigte. Ich konnte vorbeugend also immer Kohlenhydrate zuführen, so dass ich mich auf der sicheren Seite bewegte.

Der kleine Hunger hinterher und die Regeneration 😉

Apropos Essen… Nach so einem Lauf bist du ausgezehrt. Der Körper braucht Nährstoffe. Und damit ich nun schnell wieder auf die Beine komme und regeneriere, habe ich mich erst mal übers Essen hergemacht. Schon mal Süßkartoffeln mit Marmelade und saure Gurken mit Schokolade verzehrt? Ich schon ;-P. Ein bisschen Dehnen, Schwimmen, Radeln, Massage und Meditieren gehört für mich zur Regeneration auch dazu.

Übrigens werde ich in Kürze noch einen Artikel über diesen Lauf schreiben, der sich weniger auf den Lauf an sich, sondern viel mehr auf das Blutzuckermanagement während des Laufes konzentriert. Den und weitere Bilder findet ihr dann in Kürze in der Blutzuckerlounge…

Geteilte Freude ist doppelte Freude!Share on Google+Share on FacebookTweet about this on TwitterPin on Pinterest