Panikattacken: hinfallen, Krone richten, aufstehen, repeat (Gastbeitrag #DBW2018)

diabetes-blog-wocheHeute ist schon Tag 4 der Diabetes Blog Woche. Tag 3 habe ich nicht geschwänzt ;), sondern hier meinen Beitrag verfasst: www.diabetiker.info. Dabei ging es um smarte Insulinpens, über deren Sinn und Unsinn und neue Ideen und Möglichkeiten der digitalen Pentherapie. Heute ist der Diabetes mit seinen Nebenwirkungen Thema. Mit Nebenwirkungen sind die psychischen Belastungen gemeint, mit denen der eine Diabetiker mehr, der andere weniger zu kämpfen hat. Oft wird erst gar nicht darüber gesprochen, klar wer gibt denn gerne zu, dass irgendwo der Schuh drückt. Schade, ich lese gerne in Diabetes Blogs darüber, das macht die Personen dahinter so authentisch.

Ich habe zum Thema einen tollen Beitrag von Sabine H. erhalten, die selbst keinen eigenen Diabetes-Blog hat, aber zu Diabetes und Nebenwirkungen so einiges erzählen kann. Sie hat mich gefragt, ob sie in meinem Blog ihre Geschichte erzählen darf. Super Sache, denn meine kennt ihr ja bereits, siehe: „Ich bin ich…“

Ich finde mich in Sabines Geschichte vor allem im Drang zum Perfektionismus wieder. Auch der Leistungsdruck hat mich jahrelang „wahnsinnig“ gemacht. Ängste kenne ich ebenso zu Genüge. Aber ich habe mich vor geraumer Zeit therapieren und mir helfen lassen, bin gefallen und wieder aufgestanden :). Mittlerweile bin ich schon viel entspannter ;), wenn auch noch nicht in allen Lebenslagen.

Panikattacke

Also, los geht’s, Sabine erzählt…

Tschüss Kindheit, Tschüss Unbeschwertheit

Mein Zuckerchen und ich sind jetzt fast genau 20 Jahre ein Team. Naja, was heißt “Team”… So richtig haben wir uns immer noch nicht miteinander abgefunden. Damals, als sich der Diabetes bei mir eingenistet hat, war ich 7 Jahre alt und stand vor der Einschulung. Es war Ende August. Es waren die klassischen Symptome: unstillbarer Durst, entsprechend häufiger Toilettengang, Abgeschlagenheit. Ein Bluttest beim Kinderarzt, dann Kinderklinik. Diabetes! Für meine Eltern war es ein Schock. Für mich wohl auch, aber ich habe das damals einfach hingenommen. Kindheit und Unbeschwertheit waren von heute auf morgen nicht mehr da.

Ich war vorher schon eher ein ernstes Kind, aber die Diagnose hat das noch verstärkt.
Und mich zum Kontrollfreak werden lassen. Alles, was ich nicht unter Kontrolle halten kann, machte mich nervös. Dazu kamen Hänseleien in der Grundschule, später dann auch im Gymnasium. Vor allem, aber nicht nur, wegen des Diabetes. Zu der Zeit habe ich aber niemandem davon erzählt, habe alles für mich behalten, in mich rein gefressen.

Diagnose: Burnout, Depression und Panikattacken…

Das ging so lange “gut” bis mich an einem Schultag im Oktober 2007 (ich war 16) heftiger Schwindel und Angst ergriffen, und nicht mehr losließen – bis zum Notarzteinsatz. Dann ging es mit dem Krankenwagen in die nächste Klinik: Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dort wurden dann Burnout, Depression und Panikattacken festgestellt. Ich verbrachte vier Wochen dort, kam wieder zu Kräften, nahm Antidepressiva und machte diverse Therapieangebote mit.

Bitte keine Therapie!

Zuhause ging es dann mit Therapie weiter, jedoch nicht lange. Als Teenager in die Therapie gehen ist ziemlich unangenehm. Zumindest war es das für mich. Vielleicht haben der Therapeut und ich auch einfach nicht so gut zusammengepasst, oder es war die falsche Therapieform (Tiefenpsychologie). Jedenfalls habe ich es relativ bald sein gelassen. Nahm weiterhin Medikamente, die zwischenzeitlich gewechselt oder angepasst wurden.

Umzug und Einsamkeit führten zum „Rückfall“

Ich machte mein Abitur und im Anschluss eine Berufsausbildung. Mein erster “richtiger” Job führte mich über 300 km weit von Zuhause fort. Ich war sehr einsam. Und der Umzug in ein anderes Bundesland bedeutete auch, von mg/dl auf mmol/l umzudenken. Es war generell eine harte Zeit. Zusätzlich gefiel mir die Arbeit nicht wirklich. Es kam wie es wohl kommen musste: Panikattacke!

Home Sweet Home

Und ab ging es zurück nach Hause. Ich zog vorübergehend wieder zu meinen Eltern. Regenerierte mich. Fing eine neue Arbeit an. Versuchte mich an einem Studium, das ich nach zwei Semestern wieder abbrach, auch weil ich mich dort nicht wohl fühlte, was sich in meiner Stimmung niederschlug. Fand so aber meine Passion.

Endlich ohne Medikamente

Ich fand eine Fachakademie der Studienrichtung, bestand den Einstufungstest und zog wieder um. Diesmal nicht allein, sondern in einer WG. Ich setzte nach ärztlicher Rücksprache meine Medikamente ab, noch vor dem Umzug. Es ging mir wunderbar! Die Schule war toll. Ich genoss es, zu lernen, was mir Spaß machte.

Leistungsdruck und Perfektionismus… Damit kamen auch die Panikattacken zurück

Nur setzte wieder dieser Leistungsdruck und Perfektionismus ein. Dazu kamen Ängste, die ich nicht erklären konnte. Krankschreibung, neue Antidepressiva und ein Therapieplatz sollten helfen. Aber nein, es kam wieder zu einer Panikattacke. In einem normalen Krankenhaus konnte man mir nicht ausreichend helfen, also verbrachte ich erneut vier Wochen in der Psychiatrie. Wurde neu eingestellt was Medikamente angeht, lernte viel und hatte bei der Entlassung eine ambulante Therapie (Verhaltenstherapie).

Erneuter Versuch: ambulante Verhaltenstherapie

Dort verbrachte ich jede Woche eine knappe Stunde nach dem Unterricht. Es half mir wirklich sehr, mich mit meinen Ängsten und Gedankengängen auseinander zu setzen.

Dort habe ich auch gelernt, dass die Panik mir nur helfen will, indem sie in zu starken Belastungssituationen die “Notbremse” zieht. Ich habe die Fachakademie abgeschlossen, bin wieder umgezogen und führte meine Therapie eine Zeitlang telefonisch fort.

Privater und beruflicher Stress fraßen mich auf und wieder holten mich Panikattacken ein…

Ich begann eine Arbeitsstelle. Wechselte sie. War unglücklich. Und beschämt. Ich hatte ja erst gewechselt. Ich konnte doch nicht gleich wieder einen anderen Job anfangen. Dachte ich. Und sprach mit niemandem darüber. Fraß alles in mich hinein. Weinte heimlich auf der Toilette in der Arbeit. Hatte zusätzlich im Privaten noch Stressfaktoren und hatte eigenständig meine Tabletten abgesetzt. Wollte nicht einsehen, wie schlecht es mir ging.

Einen Tag vor meinem Geburtstag verbrachte ich meine Mittagspause in der Stadt, betrat einen Laden und mir wurde schwindlig. Mein Herz fing an zu rasen, mein Atem war schwer. Wieder hatte es mich erwischt.

Wie schaffe ich es wieder „normal“ zu werden?

Mein Partner holte mich aus der Arbeit ab, auf dem Heimweg hatte ich noch weitere Attacken. Meine Eltern holten mich dann zu sich nach Hause (an meinem Geburtstag), wo ich auch noch einige Attacken erlitt. Ich nahm Beruhigungsmittel dagegen und hatte von meinem Arzt wieder Medikamente verschrieben bekommen – die aber erst nach einigen Wochen wirkten, sobald sich der Spiegel aufgebaut hatte.

Ich werde wohl nie ohne Angst und Panik sein

Es war eine sehr harte Zeit. Ich war sehr verzweifelt, wusste nicht, ob ich schaffen würde, wieder “normal” zu werden und ohne Angst zu sein. Das ist jetzt noch keine vier Wochen her. Mir geht es besser. Noch nicht gut, aber besser. Ich setze meine Therapie fort, wende gelernte Skills an und gehe jeden Tag eine Runde Joggen. Außerdem nehme ich ohne zu zögern wieder meine Tabletten. Mit geht es mir einfach besser als ohne.

Ich werde wahrscheinlich nie ohne Angst und Panik sein, genauso wenig wie der Diabetes mich einfach so verlassen wird. Und vermutlich hängen die beiden Erkrankungen auch sehr eng zusammen. Aber ich kann lernen, damit zu leben, besser auf mich selbst acht zu geben, mir Pausen und Fehler zugestehen.

„Ich habe meine Diabeteserkrankung bis heute nicht vollständig verarbeitet“

Akzeptanz ist für mich immer noch schwer, aber daran möchte ich arbeiten. Ich habe auf jeden Fall gelernt, dass ich meine Diabeteserkrankung noch nicht vollständig verarbeitet habe. Das ist auch etwas, was ich nachholen will. Natürlich kann man mit Diabetes und Panikstörung leben. Aber es ist nicht immer leicht. Und oft behält man dabei vieles, was nervt oder Angst macht, für sich.

Wichtig ist, nicht alles mit sich allein auszumachen

Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, mich meinen Mitmenschen mitzuteilen. Nicht jedem, aber Familie, Partner, engen Freunden. Es ist nicht alles selbstverständlich, was wir Diabetiker jeden Tag leisten. Es ist anstrengend und kann uns sehr zusetzen. Deswegen ist es wichtig, seinen engsten Vertrauten mitzuteilen, wie es in uns aussieht. Auch mal Meckern oder Motzen! Vielleicht auch mal ein Coaching machen, das habe ich zumindest vor. Wichtig ist, nicht alles mit sich allein auszumachen. Gut, dass es dafür treue Typ-F’ler gibt. <3

Geteilte Freude ist doppelte Freude!Share on Google+Share on FacebookTweet about this on TwitterPin on Pinterest