Waldbaden: Der Natur ausgesetzt ohne Diabetes-Technik? Ein Selbstversuch führte mich zurück in die 90er

Nehmt mehr von diesen Naturpillen: Dreimal Waldbaden pro Woche in der Natur mit einer Dauer von mindestens zwanzig Minuten sollen laut einer Studie ausreichen, um den Cortisolspiegel zu senken. Man sollte jedoch dabei einige Stressfaktoren minimieren, haben sie gesagt ;). Voraussetzung unter anderem: Smartphone aus. Nein 😉… Nicht ohne meinen LOOP und CGM-Sensor!!! Was bin ich von der Diabetes-Technik abhängig. Schlimm! Ja, ich gebe es zu, ich werde nervös, wenn mein Do-it-yourself-Loop nicht läuft. Wenn unterwegs im Wald mein Smartphone, mein RileyLink, meine Insulinpumpe, mein Sensor oder was auch immer von meinen DiaBorg-Teilen nicht funktioniert, bzw. der Saft ausgeht. Es passiert glücklicherweise sehr selten und ich habe genug Ersatz dabei. Und wenn doch? Nun es ist keine Katstrophe! Oder doch? Nein, denn was habe ich immer immer immer dabei? Insulin und Spritze, Traubenzucker und mein Blutzuckermessgerät. Genau damit, mit diesen Basics, habe ich vor 23 Jahren meinen Diabetes doch auch gemanagt. Ja tatsächlich bin ich wie folgt ausgestattet Marathon gelaufen. Heute für mich unvorstellbar:

Minimal ist optimal? „Diabetes-Technik“ aufs Nötigste reduziert.

Ich habe doch alles im Kopf, weiß mit wieviel Einheiten Insulin ich meinen Blutzucker senken kann, wie viel Traubenzucker oder andere Kohlenhydrate ich zu mir nehmen muss, um meine Hypo zu bändigen und in etwa auch wie weit ich damit vorwärtskomme, um nicht gleich die nächste Hypo zu erleben. So what!? Manchmal bin ich wirklich erstaunt darüber, wie gut ich meinen Körper kenne und wie gut ich das alles einschätzen kann. Also alles Klärchen? Na ja nein, eben nur manchmal und unverhofft kommt bekanntlich oft…

Harzer Wandernadel und mein Selbstversuch: Ohne Diabetes-Technik im Wald

Mein Mann und ich haben uns dem Projekt Harzer Wandernadel angenommen, das uns motiviert, wann immer wir Zeit haben, mit dem Zug in den Harz zu fahren und uns auf die Jagd nach Stempeln im Harz zu machen. 222 Stempel (neben zahlreichen Sonderstempeln) wollen ins Heft gedrückt werden, damit wir uns dann irgendwann „Harzer Wanderkaiser“ nennen dürfen (bisher sind wir immerhin schon Wanderkönige und haben mittlerweile schon über 60 Stempel im Heft ;)). Die Stempelkästen sind kreuz und quer an den schönsten Orten im Harz verteilt. Es motiviert und wir genießen die gemeinsame Zeit, es entspannt und macht glücklich. Seit ich denken kann, liebe ich den Wald und es war schon immer mein zweites zu Hause. Und mit meinem Mann einem gemeinsamen Hobby nachzugehen, ist schon schön :). Eigentlich…

Harzer Wandernadel ohne Diabetes-Technik
Diesmal ihne Diabetes-Technik im Wald unterwegs… Ein Selbstversuch

Smartphone aus, CGM-System aus, Loop aus, …

Aber nun wollte ich es wissen und das Smartphone für eine Wandertour mal ausschalten. Zurück zur ICT und zum klassischen Blutzucker messen. Na ja nicht ganz. Die Basalrate ließ ich über meine Insulinpumpe laufen und ich hatte sie auch temporär für das Experiment abgesenkt, da ich ja wusste, dass ich den ganzen Tag in Bewegung sein würde. ICT hätte mir zu viel Ärger beschert und ich gebe zu, ich traue mich da wirklich nicht mehr ran. Mit der Langzeitinsulinen/Basalinsulinen hatte ich, insbesondere nachts keinen Spaß!  

Gesagt, getan: Auf ging es also mit abgesenkter Basalrate auf Wandertour, sollte doch kein Problem sein. Ich musste halt nur meinen Blutzucker klassisch messen und na gut, meine Basalrate konnte ich nicht mehr verändern (ich hatte sie auf 60 Prozent abgesenkt). Nun, der Selbstversuch zeigte mir, dass ohne Unterstützung seitens Diabetes-Technik beim Waldbaden so einiges richtig quer lief…

Waldbaden Harzer Wandernadel

Die punktuellen, einzelnen Blutzuckerwerte bescherten Blutzuckerchaos…

Das ständige Blutzuckermessen nervte, über 10 Blutzuckerteststreifen gingen dabei drauf. Die Finger wurden wieder zerstochen und es war seltsam ohne permanent sichtbare Blutzuckerwerte und ohne Trendpfeile unterwegs zu sein. Der Blindflug machte mich ehrlich gesagt wahnsinnig. Nicht einfach auf die Smartwatch schauen, um den Wert ablesen zu können oder zu sehen in welche Richtung sich mein Blutzucker bewegt, ätzend! Diese punktuellen, einzelnen Blutzuckerwerte brachten mir so gut wie gar nichts! Die erste Hypo ließ nach dem ersten Anstieg nach etwa 90 Minuten auch nicht lange auf sich warten, trotz zuvor gemessenen Blutzuckerwert von 170 mg/dl. Traubenzucker rein… Und dann wurde ich übervorsichtig, aß lieber noch einen Riegel zu viel, um nicht gleich wieder zu unterzuckern. Bedeutete, dass der Wert nun zu stark anstieg. Also besser noch mal vorsichtig mit der Einwegspritze mit einer ungefähr halben bis ganzen Einheit Insulin (die Schrift der Skala auf der Insulinspritze war abgenutzt) korrigieren. 90 Minuten später überkam mich das Gefühl der Unterzuckerung. Also Blutzucker messen. Okay das war Fehlanzeige. Ich lag mit 214 mg/dl zu hoch. Vermutlich die Hitze. Bei sportlichen Aktivitäten bzw. in Bewegung habe ich nicht selten Schwierigkeiten, Hypos von sportlicher Erschöpfung zu unterscheiden.

Traubenzucker hatte mein Mann übrigens reichlich eingepackt ;-).

Nun, da ich wusste, dass es gleich wieder steil bergauf gehen würde (also bei unserer Wandertour), entschied ich mich nicht mit Insulin Korrektur zu spritzen. Das war auch gut so, denn oben auf dem Berg, lag mein Blutzuckerwert nur noch bei 70mg/dl. Also ging das Spiel von vorne los. Wie anstrengend. Es stresste mich so sehr, dass ich mein Smartphone und den Loop für den Rest des Tages wieder einschaltete. Was für ein Segen! Waldbaden ohne Smartphone ist eben nicht für jeden die stressfreiere Alternative.

Gut, dass ich dieses Experiment nicht nachts durchgezogen habe… Nächte waren für mich immer das größte Problem. Mein Dawn-Phänomen und Nachwirkungen von sportlichen Aktivitäten sorgten oft für Wertechaos. Genau das balanciert mein DIY-Loop seit geraumer Zeit glücklicherweise erfolgreich aus. Vorbei waren damit die schlaflosen Nächte!

Fazit meines Selbstversuchs

Mit Smartphone, mit CGM-System, mit Insulinpumpe, Loop und sonstigem Pipapo ist Waldbaden für mich entspannend, was es ja auch sein soll und ich kann es genießen. Der Diabetes läuft oft einfach nebenbei, ich kann den Diabetes auch mal Diabetes sein lassen. Während meines Selbstversuchs ohne Diabetes-Technik konnte ich weder die Natur genießen, noch konnte ich auch nur eine Sekunde mal nicht an meinen Diabetes denken. Meine Blutzuckerwerte kletterten rauf und runter wie wir. Weiterhin war ich psychisch fertig, weil ich mir die ganze Zeit wie früher (und auch heute immer noch ein bisschen) einrede, nicht fähig zu sein, diese Krankheit in den Griff zu bekommen. Mir Schuldvorwürfe machen, kann ich seitdem ich Diabetes habe nämlich sehr gut. Ohne Werte werde ich auch schnell hibbelig, so dass ich am liebsten noch öfter meinen Blutzucker gemessen hätte. Aber das rechtfertige mal gegenüber deiner Krankenkasse.

Nun, die Technologien werden immer besser und das Diabetes-Management für uns einfacher. Ohne moderne Technologien und Digitalisierung kann ich mir mein Leben mit Diabetes nicht mehr vorstellen. Klar hat es früher auch irgendwie (!!!Ich war in 23 Jahren Diabetes-Karriere 6 Mal bewusstlos aufgrund einer Hypo!!!) hingehauen, aber die neuen Technologien und die Digitalisierung vereinfacht mir das Leben mit meinem Diabetes ungemein. Sicherlich muss man sich auch viel mit der Technik auseinandersetzen, aber es lohnt sich. Man hat ständig die Werte und die Tendenz im Blick, aber genau das beruhigt mich, lässt mich entspannter leben. Ich wäre froh, wenn ich erst in der heutigen Zeit Diabetes bekommen hätte, denn das Diabetesmanagement gestaltet sich deutlich leichter und auch die Blutzuckerwerte liegen viel öfter im Zielbereich als noch in den 90ern oder gar 80ern..  

Schade nur, dass es für Hersteller häufig so kompliziert und zeitaufwändig ist, neue Technologien zur Marktreife zu bringen, eine Zulassung zu erhalten und dann noch eine Erstattung durch die Krankenkassen zu erlangen. Natürlich sind die neuen Systeme teurer als die bisherigen Therapien. Aber nur auf den ersten Blick! Wirtschaftlicher ist es wohl, wenn wir fast so leben können wie Gesunde, ohne Ängste, Folgeschäden und mit Blutzuckerwerten im Zielbereich.

Sicherlich müssen die Systeme zuverlässig und save sein, aber dennoch sind wir diejenigen, die den Diabetes letztendlich managen. Wir können uns nicht blind auf ein System verlassen, aber das wissen wir doch auch. Ich messe meinen Blutzucker selbstverständlich gegen, auch wenn kalibrieren mit Dexcom G6 nicht zwingend erforderlich ist, ich schaue regelmäßig nach, ob meine Insulinpumpe richtig läuft/sitzt und wie viel Insulin aktiv/on Bord ist. Überprüfe natürlich, was der Loop tut, greife manuell ein, wenn der Wert nicht passt, wechsele regelmäßig Katheter, etc. pp. Und wenn dann doch mal was „schiefgehen“ sollte, was natürlich vorkommt, ob mit Loop, CGM, Insulinpumpe oder ohne, dann schiebe ich die Schuld nicht auf die Technik. Meistens liegt der Fehler bei mir und in der Regel wäre dieser ohne Loop, ohne Diabetes-Technik viel, viel, viel gravierender ausgefallen. Ich schreibe das hier alles nicht zuletzt, weil ich es leid bin, zu hören, dass solche Systeme zu teuer sind und deshalb nicht bewilligt werden.

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